Schenkenschanz

Der alljährliche Ansturm von Ausflüglern bestärkt Willi Bos in seiner Auffassung, daß Schenkenschanz mit den vielen Menschen am Wochenende fast schon eine kleine Stadt sei. Er übertreibt: Frau Schmitz hat selbst an heißen Sommertagen, wenn sich ein paar mehr Radfahrer als gewöhnlich in die »Inselruh« verirren, abends immer noch einen Apfelstrudel für eventuelle Nachzügler übrig. Zudem ist der kleine Parkplatz vor der Dorfmauer nicht einmal asphaltiert. Und enden in den Städten die Hauptstraßen an einem großen Misthaufen?

Die Schanz ist sich selbst genug, das aber wohlorganisiert. Der Fußballverein FC Vorwärts hat mit 200 Mitgliedern mehr Anhänger als Schenkenschanz Einwohner. Ein richtiger Schänzer zahlt im Heimatverein, unterstützt die Freiwillige Feuerwehr und fördert die Jungzüchtervereinigung.

Höhepunkt eines Beitragjahres ist das Schützenfest Ende Juni: Als Harald Uphoff, der Rohrschlosser im Dorf, den geschnitzten Holzvogel nach fünfstündigem Kampf mit Kimme und viel Korn von der Stange geballert hatte, sank er vor Rührung in die Knie. Und Freudentränen kullerten, als Vorstand und Präsident des Schützenvereins »von Schenk-Schenkenschanz 1928 e.V.« nach einer Ehrenrunde Kräuterschnaps der frischen Majestät die geschichtliche Dimension des großen Augenblicks deutlich machten: »Jung, so wat Schönes passiert Dir nie wieder.«

Andrea ist die Schanz schnuppe, obwohl sie mittendrin wohnt. Andrea liest Henry Miller und hört Tom Waits. Ihre Mutter verkauft in der Küche zu 99 Prozent biologisch abbaubare Neutralseife. Vater Siggi ist Briefträger und nimmt schon mal Pakete für Kleve mit.

Vierundzwanzig Jahre Schenkenschanz: Andrea will raus. Nach Köln, studieren. Theaterwissenschaften und Philosophie. Andrea sehnt sich nach Kino und Kleinkunst: nicht mehr zwanzig Minuten im klapprigen Auto fahren, um morgens hinter dem Deich frische Brötchen zu holen. Als Kind paddelte sie wirklich gern bei Hochwasser Slalom mit Vaters Kanu um die Pappeln. Und es war aufregend, im Winter auf einer Eisscholle den Altrhein zu entdecken. Vorbei: »Hier kann man vor Langeweile sterben«, sagt Andrea.

Nur kurze Zeit gaben Jugendliche den Ton an: Die Rockband »Egal« probte im Hinterzimmer des Tambourmajors Revolution und für das 400jährige Schanzjubiläum. Andrea am Saxophon, Karl an der Gitarre – bis es den Nachbarn zu laut wurde. Karl ist vor kurzem zum neuen Schriftführer des Schützenvereins gewählt worden. Vielleicht möchte er auch studieren, Elektrotechnik, doch Karl schwankt noch. Seine Vorfahren sind vor 200 Jahren auf dem Weg von der Pfalz nach Amerika in Schenkenschanz hängengeblieben. Vielleicht reicht ein Versuch, einmal auszuwandern.

Für eine Mark und dreißig Pfennige pro einfache Fahrt verbindet eine Fähre die Schanz mit dem Kontinent. Morgens um sieben Uhr ist Rush-hour, es muß mit vierminütigen Wartezeiten gerechnet werden. Bei Nebel schickt der Fährmann die Schänzer über den Deich, zehn Kilometer Umweg statt hundert Meter Altrhein.

Die neue Fähre
Die neue Fähre »Martin Schenk«
bei der Einweihung
am 29. März 2003.

Foto: Bos-Echterhoff

Es gab einmal einen Fährmann, der weigerte sich Fußballmannschaften mitzunehmen, die den FC Vorwärts auf eigenem Platz besiegten. Heute kickt man wegen Hochwassergefahr nur noch auf der anderen Seite, wo einst der legendäre »Humpel« ein legendäres Tor schoß: Er trat die Ecke so hoch in den Strafraum, daß ihm Zeit genug blieb, das Leder höchstpersönlich ins Netz zu köpfen. Seitdem feiern ihn die Schänzer als »Satan vom Niederrhein«. Leider hat der Schiedsrichter den Treffer nicht gegeben, was selbst aus heutiger Sicht eine glatte Fehlentscheidung war.

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